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Horst Kunze: Olympia ohne Atmosphäre und Flair

Horst Kunze: Olympia ohne Atmosphäre und Flair

Foto: TK-Präsident Horst Kunze (Mitte hinten) inmitten seiner Kampfrichter aus der ganzen Welt.


Trampolinturnen. „Die 32. Sommerspiele in Tokio waren sehr erfolgreiche Olympische Spiele. Einige hatten vorher bereits von Geisterspielen gesprochen. Wir haben das Gegenteil gesehen. Die Athleten haben diesen Spielen Seele gegeben“, lautete das Fazit von IOC-Präsident Thomas Bach nachdem die olympische Flamme erloschen war.

Aber wie waren die 32. Olympischen Sommerspiele in der mit 37,3 Millionen Einwohnern größten Stadt der Welt wirklich? Das weltweit größte Sportereignis war abgekapselt von Raum und Zeit, fand in einer Blase statt, aus der heraus kein Kontakt zur Außenwelt erwünscht und möglich war. Die Sportler, die sich mit Olympischen Spielen oft einen Lebenstraum erfüllen, saßen gelangweilt auf ihren Zimmern, isoliert, dauergetestet, zusammengepfercht und oft unter sehr bescheidenen Verhältnissen.

Leere Ränge bei den Trampolin-Wettkämpfen.

Alles wirkte steril und künstlich. Es fehlten die Menschen, die Olympia mit Leben erfüllten. Es waren Spiele ohne Seele. In den leeren Hallen wirkte so mancher Olympiasieg wie der Gewinn einer Ehrenurkunde bei den Bundesjugendspielen.

Trotz aller Freundlichkeit der Helfer, die strengen Vorschriften waren allgegenwärtig. Diskussionsspielraum gab es keinen. Das war zwar im Sinne der Hygienemaßnahmen, im Sinne eines freundschaftlichen, weltumspannenden Sportfestes war es nicht. Die ganze Absurdität dieser Spiele zeigte sich im Schriftzug „Tokio 2020“, der überall zu lesen war. 

Die Turn- und Trampolin-Wettkämpfe fanden in der gleichen Halle statt.

„Ein echtes Olympia-Fieber wie bei meinen anderen sechs Olympischen Spielen seit 1996 in Atlanta kam bei mir nicht auf“, so Horst Kunze, der als Präsident der Technischen Kommission die Trampolin-Wettkämpfe der Frauen und Männer leitete. „Die Funktionäre und Kampfrichter der Turn- und Trampolin-Wettbewerbe waren in einem riesigen Hotel quasi in Quarantäne untergebracht. Wir durften das Zimmer nur zu den Essensmahlzeiten und zu den Wettkämpfen verlassen. Gegessen wurden in einem riesigen Saal an Einzeltischen. Es gab nur verpacktes Essen, Getränke aus dem Automaten – alles in Pappbechern und auf Papptellern. Für den Tag wurde ein Lunchpaket ausgehändigt. Ich habe mich in den fünf Tagen in Tokio viel von Bananen ernährt. Direkt am Hotel gab es einen Seven-Eleven-Shop, wo man sich auch mal ein Sandwich oder ein Bier kaufen konnte, was eigentlich nicht gestattet war.“

Von den anderen Gästen im Hotel waren die Olympia-Teilnehmer abgeschottet. Der Besuch der Bar, der Lounge oder des Restaurants war untersagt. Das Hotel durfte nicht zu touristischen Zwecken verlassen werden. Auch andere Wettkampfstätten durften nicht besucht werden. „Die Olympischen Spiele habe ich im Fernsehen in meinem Hotelzimmer im 33. Stockwerk erlebt“, so Kunze. „Wenn man entgegen allen Regeln das Hotel doch mal verlassen wollte, um frische Luft zu schnappen, lautete die Anweisung, nicht in Olympia-Kleidung auf die Straße zu gehen, weil die Menschen nicht auf Olympia aufmerksam gemacht werden sollten.“

Horst Kunze (l.) gibt vor dem Start der Wettkämpfe die letzten Anweisungen an seine Kampfrichter.

Da sich Toyota als Sponsor im Vorfeld der Spiele zurückgezogen hatte, wurde der Pendelverkehr zwischen Hotel und Wettkampfstätte mit Bussen durchgeführt. Dort saßen die Olympia-Teilnehmer dicht gedrängt nebeneinander. „Bei den Mahlzeiten an Einzeltischen, aber im Bus direkt nebeneinander. Irgendwie passte das nicht“, so Kunze. Auch die Zeremonie bei der Siegerehrung war eine Farce. „Sportler und Funktionäre waren mehrfach getestet, viele schon geimpft. Trotzdem mussten alle Masken tragen, die Medaillen und Blumensträuße auf einem Tablet gereicht und die Sportler mussten sich die Medaillen selbst umhängen. Das war schon lächerlich.“



Einziger Lichtblick für Kunze waren die beiden Wettkampftage der Trampolinturnerinnen und -turner. „Da kam so etwas wie olympische Atmosphäre auf. Man sah nur strahlende Gesichter – sowohl bei den Athleten als auch bei den Trainern, Betreuern und Kampfrichtern. Alle waren sichtlich froh, coronabedingt nach sehr langer Zeit wieder einen Wettkampf zu bestreiten. Die Begeisterung und Freude waren riesig.“

Nach den Erlebnissen in Tokio fällt das Fazit von Horst Kunze gespalten aus. „Die Trampolin-Wettkämpfe haben Spaß gemacht, aber das drumherum war sehr bescheiden. Aufgrund der Pandemie war meine Erwartungshaltung sehr niedrig, aber dass es so krass werden würde, das habe ich nicht gedacht. Ich war froh, dass ich nach fünf Tagen die Hotelquarantäne wieder verlassen und die Heimreise antreten konnte.“

Links: Das riesige Hotel hatte 42 Stockwerke. Rechts: Blick aus dem Hotelzimmer im 33. Stockwerk.