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Das Wunder von der Weser

Das Wunder von der Weser

Foto: Matthias Spieß erhält die Nachricht: Gümmer schlägt Poggenhagen – der SC Rinteln ist gerettet.


Fußball. Zwischen 2000 und 2003 hing die Bezirksklassen-Zugehörigkeit des SC Rinteln am seidenen Faden. Dreimal hintereinander schafften die Steinanger-Kicker erst im letzten Saisonspiel den Klassenerhalt. Aber die Saison 2001/02 toppte alle Zitterserien. Mit zwei Pünktchen nach elf Spieltagen rangierte der SCR abgeschlagen am Tabellenende, um dann, nach einer beispiellosen Aufholjagd, doch noch den Klassenerhalt zu schaffen.

Der SC Rinteln in der Saison 2001/02: Trainer Hans-Georg Dlugosch (h.v.l.), Baldassare Di Silvestre, Sebastian Brandt, Heiko Ruhe, Sebastian Blaumann, Claudio Salonna, Turgay Avcioglu, Martin Wallenstein, Karsten Primus, Andre Greulich, Mario Squire, Betreuer Dieter „Theo“ Merchel (v.v.l.), Sven Mingram, Christopher Möller, Dirk Zipfel, Dennis Blaumann, Matthias Spieß, Ronny Bork und Reserve-Trainer Rolf Bartram.

Der SC Rinteln musste in der Sommerpause 2001 einen immensen Aderlass hinnehmen. Mit Tomas Muzik (VfL Bückeburg), Peter Pilger (TuS Almena), Hüseyin Sevdigim und Markus Schneeweiss (beide Minden 05) verloren die Weserstädter vier Leistungsträger. Dazu wechselten Besim Kelmendi zum TSV Exten und Murat Dandiboz zum SC Möllenbeck.

Die Zugänge Dirk Zipfel (TSV Ahnsen), Ronny Bork (TSV Krankenhagen) und Baldassare Di Silvestre (Juventus Obernkirchen) wiesen allesamt keine Bezirksklassenerfahrung vor, für Martin Wallenstein, Karsten Primus und Vadim Bender aus der eigenen Jugend war es die erste Saison im Herrenbereich.

Die Winterzugänge Jens Kästel (l.) und Lars Strübe führen Rinteln zum Klassenerhalt.

Dazu kamen gleich zu Beginn der Spielserie zwei Katastrophenmeldungen. Der Kopf des Teams, Routinier Michael Voigt, fiel fast die komplette Saison aus. Auch Mario Squire erwischte es am Knie und musste etliche Wochen pausieren. Damit waren zwei Stützen des Teams weggebrochen.

Der SC Rinteln ging mit einem Youngster-Team in die Saison. Acht Spieler waren 21 Jahre und jünger. Die Hauptlast der Verantwortung mussten die acht Spieler zwischen 24 und 28 Jahren tragen. Die Experten waren sich einig: Die Elf von Trainer Hans-Georg Dlugosch ist ein Abstiegskandidat. „Wir sind in jedem Spiel der Außenseiter. Eine Chance auf den Klassenerhalt haben wir nur, wenn wir körperlich topfit sind, jeder an sein Limit geht und wir uns als echte Einheit präsentieren“, so Dlugosch vor dem Saison-Start.

Rolf Bartram folgt Hans-Georg Dlugosch auf dem Trainerposten und hilft als Spielertrainer in einigen Partie aus.

Den Kader bildeten Carsten Weiß und Dirk Zipfel im Tor, Dennis Blaumann, Sebastian Blaumann, Mario Squire, Ronny Bork, Steffen Rehmert und Turgay Avcioglu in der Abwehr, Michael Voigt, Sebastian Brandt, Andre Greulich, Sven Mingram, Matthias Spieß, Andreas Wagner, Christopher Möller, Jens Kästel, Lars Strübe und Martin Wallenstein im Mittelfeld, Heiko Ruhe, Claudio Salonna, Wolfgang Philippzig und Baldassare Di Silvestre im Angriff.



Mit dem 8:2-Sieg gegen den SC Möllenbeck im Finale der Stadtmeisterschaft hatte das junge Team kräftig Selbstvertrauen getankt. Doch nach dem 2:9 in Springe und 3:7 gegen Tündern waren die Selbstzweifel groß. Nach dem 0:2 am 3. Spieltag gegen den Abstiegskandidaten Hess. Oldendorf gab es einen Trainerwechsel. Rolf Bartram, Trainer der Reserve, löste den entnervten Hans-Georg Dlugosch ab. Bartram nahm Umstellungen vor, versuchte die Defensive zu stärken. Es folgten zwei Unentschieden gegen Bückeburg II (0:0) und Niedernwöhren (2:2). Danach ging die Negativserie weiter. Nach elf Spieltagen war Rinteln mit zwei Pünktchen abgeschlagenes Schlusslicht – zehn Zähler hinter dem rettenden Ufer.

Matthias Spieß glänzt als Spielgestalter und Torschütze.

Am 12. Spieltag dann der erste Sieg – in Steinhude wurde 2:1 gewonnen. Am 13. Spieltag der zweite Sieg – 3:1 gegen Rehren AR. Mit dem 1:1 in Poggenhagen beendete der SC die Hinrunde mit 9 Punkten und 18:39 Toren als Tabellen-14., vier Punkte hinter dem ersten Nichtabstiegsplatz. Bis zur Winterpause kassierte Rinteln noch die 1:5-Niederlage gegen Tündern.

In der Winterpause gelangen Rinteln zwei Top-Verpflichtungen. Jens Kästel kam vom SV Hattendorf und Lars Strübe vom VfL Bückeburg. Di Silvestre verließ den Verein in Richtung Hevesen. „Mit seiner Oberliga-Erfahrung aus Hamelner Zeiten war Jens gleich der absolute Führungsspieler. Er dirigierte die Mannschaft aus dem zentralen defensiven Mittelfeld heraus, gab der Abwehr Rückhalt und kurbelte das Angriffsspiel an“, erinnert sich Rolf Bartram. „Jens war ein Mentalitätsmonster, der alle mitriss. Auch die jungen Spieler strahlten plötzlich Selbstvertrauen aus und wurden von Spiel zu Spiel besser.“ Lars Strübe schlug ebenso voll ein. „Lars war enorm wichtig für das Team“, blickt Bartram zurück. „Ein positiver Typ, taktisch und technisch äußerst stark mit viel Spielverständnis ausgerüstet kurbelte er das Offensivspiel immer wieder geschickt an.“

Claudio Salonna hält den SCR mit seinen Toren im Rennen um den Klassenerhalt.

Nach einer ewig langen Vorbereitung mit einer sehr hohen Trainingsbeteiligung ging der SC Rinteln mit neuem Selbstvertrauen in das Spieljahr 2002. „Kompakt stehen und auf Konter warten – das war unsere Taktik. Und die ging von Anfang an voll auf“, so Bartram. Der 3:0-Sieg gegen Luthe gleich nach der Winterpause war der Auftakt einer beeindruckenden Serie. Von 15 Spielen wurde nur eins verloren. Auch der Spitzenreiter SV Degersen wurde auf ihrem Miniplatz am 23. Spieltag nach einem 0:2-Pausenrückstand mit 5:4 entzaubert. Es folgten Siege gegen Steinhude (4:1) und Rehren AR (4:2). Mit 31 Punkten nach 26 Spieltagen war Rinteln als Tabellen-11. auf dem Weg zum Klassenerhalt.

Aber es sollte noch einmal spannend werden. Kästel musste eine Rotsperre absitzen, Manndecker Sebastian Blaumann fiel verletzt aus. Dafür feierte Michael Voigt sein Comeback. Nach dem 3:3 gegen Poggenhagen folgte ein 0:0 gegen Gümmer. Im vorletzten Spiel gegen Absteiger Hess. Oldendorf konnte der Klassenerhalt geschafft werden. Im Heimspiel reichte es aber nur zum 1:1.

Sven Mingram sorgt auf der linken Außenbahn für Akzente.

Vor dem letzten Spieltag rangierte Rinteln mit 34 Punkten als Tabellen-13. auf dem Relegationsplatz. Gümmer hatte als Zwölfter ebenfalls 34 Punkte auf dem Konto, Poggenhagen als Elfter 35 Punkte. Rinteln musste in Bückeburg gewinnen und das Ergebnis der Partie zwischen Gümmer und Poggenhagen abwarten. Claudio Salonna (3) und Heiko Ruhe (1) trafen zum 4:3-Zittersieg. Gümmer schlug Poggenhagen 2:1 – der SC Rinteln war gerettet.

Der SV Degersen stieg als Meister in die Bezirksliga auf, Hess. Oldendorf (22), Steinhude (20) und Rehren AR (18) stiegen direkt in die Kreisliga ab. Poggenhagen musste in die Relegation und stieg ebenfalls ab. Der SC Rinteln schloss die Saison 2001/02 mit 37 Punkten und 51:65 Toren als Tabellen-12. ab. In 15 Spielen im Jahr 2002 holte der SC 28 Punkte und wies mit 32:21 ein positives Torverhältnis auf. „Das war eines der schönsten Jahre, die ich im Fußball erlebt habe. Der Klassenerhalt grenzte tatsächlich an ein kleines Wunder“, lautet das Resümee von Rolf Bartram.

In der Saison 2002/03 musste der SC Rinteln wieder lange Zeit gegen den Abstieg kämpfen. Am Ende reichte es mit 37 Punkten und 52:54 Toren zu Platz 10 – nur mit einem Zähler Vorsprung auf den Relegationsplatz.

Wolfgang Philippzig wartet auf das Ergebnis aus Gümmer.